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Landgericht Hamburg fällte sein Rondenbarg-Urteil (Teil A)

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Das Landgericht Hamburg fällte am Dienstag, den 3. September sein Rondenbarg-Urteil Doppelter Landfriedensbruch wegen einmaligen Tragens eines Anglerhuts

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Politik

„G20“ nennt sich – etwas ungenau – eine Gruppe von 19 wirtschaftlich mehr oder minder potenten Staaten sowie der Europäischen und Afrikanischen Union.

Auskunft der Hamburger Gerichts-Pressestelle Ende vergangenen Jahres: „Laut Anklage soll der sog. schwarze Block gegen 6.00 Uhr morgens im Anschluss an zwei andere Fußgruppen, eine in blauer und die andere in grüner Kleidung, aus der Richtung eines Protestcamps am Altonaer Volkspark (Vorhornweg) gekommen sein und einen Parkplatz am Volksparkstadium passiert haben. Anders als die vorausgegangen Gruppen soll der sog. schwarze Block über die Sylvesterallee gelaufen und dann in die Schnackenburgallee in Richtung Holstenkamp/Bornkamp eingebogen sein. […]. Auf der Straße Rondenbarg soll der Aufzug dann von Norden kommend auf (andere) Polizeikräfte gestoßen sein.“
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Auskunft der Hamburger Gerichts-Pressestelle Ende vergangenen Jahres: „Laut Anklage soll der sog. schwarze Block gegen 6.00 Uhr morgens im Anschluss an zwei andere Fußgruppen, eine in blauer und die andere in grüner Kleidung, aus der Richtung eines Protestcamps am Altonaer Volkspark (Vorhornweg) gekommen sein und einen Parkplatz am Volksparkstadium passiert haben. Anders als die vorausgegangen Gruppen soll der sog. schwarze Block über die Sylvesterallee gelaufen und dann in die Schnackenburgallee in Richtung Holstenkamp/Bornkamp eingebogen sein. […]. Auf der Straße Rondenbarg soll der Aufzug dann von Norden kommend auf (andere) Polizeikräfte gestoßen sein.“

Datum 10. September 2024
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Diese Gruppe veranstaltet jährliche Gipfeltreffen, von denen der 2017er-Gipfel im ziemlich hohen Norden der BRD, in Hamburg, stattfand. Selbstverständlich gab es auch Gegen-Demos. Über eine dieser Demo wurde seit Januar vor dem Landgericht Hamburg verhandelt. Diese Demo wurde 2017 im Rondenbarg (die Endung „-barg“ gehört zum niederdeutschen Wort Barg = neuhochdeutsch Berg1), das ist eine Strasse in Hamburg, von der Polizei unsanft gestoppt. Vorher war einiges kaputt gegangen und einiges von DemonstrantInnen geworfen wurden.

In dem jetzigen Verfahren (es folgen weitere) ging es um zwei Angeklagte, denen (wie wohl allen Angeklagten2) keine eigenhändige Gewalttat vorgeworfen wird. Das Gericht verurteilte sie wegen „Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten gefährlichen Körperverletzung, mit Beihilfe zum tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte und mit Beihilfe zur Sachbeschädigung“ zu 90 Tagessätzen (Auskunft der zuständigen Gerichts-Pressestelle). Die Verurteilung wegen Landfriedensbruchs erfolgte dabei jeweils wohl gleich doppelt:

• einmal wegen Landfriedensbruchs durch Beihilfe zu bestimmten Gewalttätigkeiten (§ 125 Absatz 1 Nr. 1 BRD-StGB)

• einmal wegen Landfriedensbruchs durch täterschaftliche Bedrohungen (§ 125 Absatz 1 Nr. 2 BRD-StGB).3

Die Beihilfe erfolgte dabei nach Ansicht des Landgerichts in Form sog. psychischer (genauer: voluntativer – auf den Willen bezogener) Beihilfe. Die beiden Angeklagten sollen – insbesondere durch Tragen eines Angelerhutes4 (wohl der Angeklagte) bzw. einer Sturmhaube (die Angeklagte) – den Tatentschluss derjenigen bestärkt haben, die die Gewalttätigkeiten begingen – hört sich kurios an, ist aber der übliche BRD-Begriff von Beihilfe (auch wenn es nicht um Landfriedensbruch oder überhaupt nicht um politische Fälle geht):

„Ein ‚Dabeisein' kann die Tatbegehung im Sinne eines aktiven Tuns […] fördern oder erleichtern, wenn die ‚Billigung der Tat' gegenüber dem Täter zum Ausdruck gebracht wird, dieser dadurch in seinem Tatentschluss bestärkt wird und der Gehilfe sich dessen bewusst ist (st. Rspr.: vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 17. Mai 2018 –1 StR 108/18, juris Rn. 7; vom 20. September 2016 – 3 StR 49/16, BGHSt 61, 252, 258; Senat, Beschluss vom 15. Dezember 2011 – 2 StR 505/11, juris Rn. 5, StV 2012, 287, jeweils mwN).“

(BGH, Beschluss vom 28.07.2020 zum Aktenzeichen 2 StR 64/20, S. 5, Tz. 8; Hyperlinks im Zitat hinzugefügt)

• Blosses Anwesendsein genügt also nicht für eine Verurteilung;

• aber Anwesenheit plus „‚Billigung der Tat' gegenüber dem Täter“ soll für eine Verurteilung wegen Beihilfe sehr wohl genügen, wenn der/die TäterIn dadurch in seinem/ihrem Tatentschluss bestärkt wird und der/die Gehilfe/in (= die Person, die Beihilfe leistet) sich dessen bewusst ist.

Vorliegend sollen der Anglerhut bzw. – etwas kämpferischer – die Hassi Teil des – den gewalttätigen und den friedlichen DemonstrantInnen gemeinsamen – Dresscodes5 für die Demo gewesen. In dieser Gemeinsamkeit des Outfits liege eine den Tatentschluss der GewalttäterInnen bestärkende Solidarisierung mit den Letzteren (? Billigung deren Taten), so berichtet der Norddeutsche Rundfunk über das Urteil:

„Der schwarze Block sei martialisch aufgetreten und hätte die Menschen rundum eingeschüchtert. Die ‚Unfriedlichkeit' sei schon im Keim angelegt gewesen, sagte die Vorsitzende Richterin bei ihrer Urteilsbegündung. Das sei auch den Angeklagten klar gewesen. Auch sie seien schwarz gekleidet gewesen, die Frau hatte sogar eine Sturmhaube auf. Dadurch hätten sie sich mit den Gewalttätern solidarisiert und ihnen Schutz in der schwarzen Masse geboten.“ (ndr.de)

Aber was ist denn nun eigentlich Landfriedensbruch in der BRD (die gesetzliche Definition ist transalpina6 etwas anders als in der Schweiz, wo es nicht den miekrigen Rondenbarg, sondern richtige Berge gibt)? Die BRD-Definition steht in § 125 Absatz 1 des dortigen Strafgesetzbuches – ich zitiere erst einmal (der Einfachheit halber) nur die Definition von einer (von insgesamt drei) Varianten von Landfriedensbruch: „(1) Wer sich an […] Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen […] die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt […], wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (gesetze-im-internet.de)

Das für die (psychische) Beihilfe Entscheidende sind dabei die Wörter „Täter oder Teilnehmer“, denn sie bedeuten, dass TäterInnen des Landfriedensbruchs

• nicht nur diejenigen sind, die Täter der fraglichen Gewalttätigkeiten sind,

• sondern auch diejenigen die sich an den Gewalttätigkeiten in Form von Beihilfe und/oder Anstiftung „beteilig[en]“.

Das mag eine etwas irritierende Verwendungsweise von „beteiligen“ sein – ist aber der Sprachgebrauch, den das BRD-Strafgesetzbuch festlegt: „(1) Fehlen besondere persönliche Merkmale (§ 14 Abs. 1), welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe), so ist dessen Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(2) Bestimmt das Gesetz, dass besondere persönliche Merkmale die Strafe schärfen, mildern oder ausschliessen, so gilt das nur für den Beteiligten (Täter oder Teilnehmer), bei dem sie vorliegen.“ (gesetze-im-internet.de)

„§ 27 Beihilfe (1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. (2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.“ (gesetze-im-internet.de)

Also:

• „Teilnehmer“ = Anstifter plus GehilfInnen (= Leute die Beihilfe leisten)

• „Beteiligte“ = TäterInnen plus TeilnehmerInnen.

• „Teilnehmer“ = Beteiligte minus TäterInnen; TeilnehmerInnen ? TäterInnen.

Die Tatbestandsmerkmale des gewalttätigen Landfriedensbruchs

Die oben zitierte Definition betrifft den sog. gewalttätigen Landfriedensbruch (daneben gibt es auch noch bedrohenden und aufwieglerischen Landfriedensbruch; dazu weiter unten); damit gewalttätiger Landfriedensbruch gegeben ist, muss also Folgendes nachgewiesen werden:i

• Dass es zu (1.) „Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen“ kam.

• Dass diese (2.) „aus einer Menschenmenge“ und (3.) „in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise“ (4.) „mit vereinten Kräften“ begangen wurden.

• Und dass die Person, die verurteilt werden soll, (5.) TäterIn oder zumindest TeilnehmerIn dieser Gewalttätigkeiten ist. TeilnehmerInnen dieser Gewalttätigkeiten sind – wie schon gesagt – gerade nicht die TäterInnen der Gewalttätigkeiten, sondern diejenigen, die zu den Gewalttätigkeiten anstiften oder zu ihnen Beihilfe leisten.

Welche von diesen fünf Punkten konnten nach Ansicht des Landgerichts Hamburg bewiesen werden? Alle fünf (anderenfalls hätte es nicht verurteilen dürfen, sondern freisprechen müssen).

Detlef Georgia Schulze

Fussnoten:

1 Vgl. https://dibiki.ub.uni-kiel.de/viewer/fullscreen/PPN1750115573/145/ (urn:nbn:de:gbv:8:2-6548461, Sp. 233 - 235) und https://www.niederdeutsche-literatur.de/dwn/dwn_he_alles.php?W_ID=758&ONL=8 sowie https://resolver.sub.uni-hamburg.de/kitodo/PPN886157536/page/153. – Es gibt in Hamburg weitere Strassennamen, die auf -barg enden und auch eine Strasse „In de Bargen“ (‚In den Bergen' / ‚In den Dünen').

2 So zumindest der Kenntnisstand der zuständigen Hamburger Gerichts-Pressestelle Ende letzten Jahres: „Nach meinem Kenntnisstand gibt es im Zusammenhang mit dem Vorfall am Rondenbarg bislang keine Angeklagten, denen eigenhändige Gewalttaten zugeordnet werden.“

3 Die zuständige Hamburger Gerichts-Pressestelle teilte mir mit, dass das Gericht der Urteilsformel in der mündlichen Begründung zwar keine Normenkette angefügt habe. Nach dem persönlichen Verständnis der Gerichtssprecherin, die bei der mündlichen Urteilsbegründung anscheinend anwesend war, sei die Verurteilung „jedenfalls nach Nr. 2“ erfolgt (meine Hv.), „im Rahmen der Ausführungen zur rechtlichen Würdigung“ habe die Vorsitzende Richterin „zusätzlich aber auch von Nr. 1“ gesprochen. Hinzukommt, dass das Gericht auch wegen Beihilfe zur versuchten gefährlichen Körperverletzung, zum tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte und zur Sachbeschädigung – alles Gewalttätigkeiten – verurteilt hat, was zumindest wahrscheinlich macht, dass auch die Verurteilung wegen Landfriedensbruchs nicht nur wegen Bedrohungen, sondern auch wegen der Teilnahme (hier: Beihilfe) an den Gewalttätigkeiten erfolgte. Theoretisch kommt aber auch in Betracht, dass das Gericht zum Beispiel der Ansicht ist, die Gewalttätigkeiten hätten ausserhalb der Menschenmenge (= Demonstration) stattgefunden und die Angeklagten hätten dessen ungeachtet zu den Gewalttätigkeiten Beihilfe geleistet. Dann würde es sich bei den Gewalttätigkeiten nicht um Landfriedensbruch handeln. Folge wäre, dass die Angeklagten wegen Landfriedensbruchs durch Bedrohungen und ausserdem wegen Beihilfe zu den Gewalttätigkeiten (Sachbeschädigung usw.) verurteilt wurden.

4 Es kommt selbstverständlich nicht speziell auf den Anglerhut an – hätte fast alle Kopftücher getragen wäre auch nichts anders gewesen. Die zuständige Gerichts-Pressestelle hat mir mitgeteilt: „Abgestellt worden ist auf das Einfügen in das optisch einheitlich dunkle Erscheinungsbild der Personengruppe von Kopf bis Fuss, bei der einen Angeklagten noch unterstrichen durch Sturmhaube und schwarze Arbeitshandschuhe.“ (meine Hv.)

5 „Die Staatsanwältin sagt, die blosse Zugehörigkeit zu einer gewalttätigen Menge sei nicht strafbar, es müsse entweder eine Mittäterschaft oder eine Beihilfe erfolgt sein. […]. Die Angeklagten haben Gewalt gegen Sachen und gegen die Polizei in Kauf genommen und haben sich dem Dresscode des Fingers angepasst. Sie haben dabei mitgewirkt den Gewalttätern einen Rückzugsort zu bieten. Die Angeklagten haben es billigend in Kauf genommen, dass es zu Gewalttätigkeiten kommt und haben sich mit Gewalttätern solidarisiert.“ (https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-22-vom-26-08-2024/; Hv. hinzugefügt)

6 (Von Rom aus gesehen): jenseits der Alpen (vgl. Gallia transalpina).